GESCHLOSSENE GESELLSCHAFT
KÜNSTLERISCHE FOTOGRAFIE IN DER DDR 1949-1989
Die Berlinische Galerie widmete der künstlerischen Fotografie in der DDR die international erste umfassende Schau. Zwei Jahrzehnte nach dem Fall der Mauer wurden in der Ausstellung „Geschlossene Gesellschaft“ Traditionslinien und fotografische Strömungen herausgearbeitet sowie Veränderungen in Bildsprache und Themen sichtbar gemacht.
Die Retrospektive wurde damit Teil des gegenwärtigen Fotografiediskurses, der in den letzten Jahren mit zahlreichen Ausstellungen und Publikationen begonnen hat. Inzwischen wurden die Bilder und ihre Protagonisten, die kulturpolitischen Bedingungen, regionalen Besonderheiten, fototechnischen Gegebenheiten und individuellen fotografischen Strategien untersucht, so dass heute dem interessierten Fachpublikum eine Vielzahl der Fotografen und eine Reihe mittlerweile geradezu kanonisierter Bilder bekannt geworden sind.
Die Bildauswahl der Überblicksausstellung in der Berlinischen Galerie zielte darauf, den spezifischen Charakter des jeweiligen fotografischen Werkes, seine künstlerische Motivation und Bildsprache nacherlebbar zu machen.
Auch wenn sich diese Ausstellung hauptsächlich mit dem Medium selbst beschäftigt, hatte sie viel über das Alltagsleben in der DDR erzählt. Das lag vor allem an der zahlenmäßig umfangreichsten Strömung der sozial engagierten Fotografie, um die es im ersten Kapitel ging. Die Fotografen, die in dieser Tradition arbeiten, sind an einer wahrhaftigen Schilderung der Wirklichkeit interessiert. Das heißt, dass sie in der Realität nach Bildern suchen, mit denen sich Aussagen über die realen gesellschaftlichen Verhältnisse treffen lassen.
Im zweiten Kapitel wurde eine Traditionslinie verfolgt, die in den 1950er-Jahren an die Bildsprache der Moderne der 1920er-Jahre anknüpfte, dann aber 20 Jahre lang keine Nachfolge fand. Erst Mitte der 1970er-Jahre widmeten sich Fotografen wieder mehr den formalen und ästhetischen Mitteln ihres Mediums. Die Suche nach neuen künstlerischen Ausdrucksformen führte auch zu Arbeiten im dreidimensionalen Raum.
Ein großer Teil der im dritten Kapitel vorgestellten jungen Fotografen brauchte diese Erweiterung der Ausdrucksmöglichkeiten, um ihre komplexen Eindrücke und Gefühle besser darstellen zu können. Viele von ihnen hatten mit dem Selbstverständnis der älteren Generationen gebrochen, weil sie mit einem desillusionierten Blick auf die DDR-Gesellschaft sahen. Aus diesem Lebensgefühl heraus und indem sie sich selbst, ihre Körper und ihre Wahrnehmung in den Mittelpunkt der Arbeiten stellten, begannen sie ihre fotografischen Erkundungen.
Den drei Kapiteln ist ein kurzer Prolog vorangestellt, der mit zwei signifikanten Bildserien von Richard Peter sen. und Karl Heinz Mai einen atmosphärischen Eindruck der Zeit vom Ende des Dritten Reiches 1945 bis zur Gründung der DDR 1949 vermittelt.
Ausstellungsarchitektur: David Saik, Berlin
Prolog: Richard Peter sen., Karl Heinz Mai
Realität-Engagement-Kritik: Arno Fischer, Ursula Arnold, Evelyn Richter, Roger Melis, Sibylle Bergemann, Christian Borchert, Ulrich Wüst, Gundula Schulze
Eldowy, Matthias Hoch, Erasmus Schröter, Jens Rötzsch
Montage-Experiment-Form: Edmund Kesting, Fritz Kühn, Ulrich Lindner, Lutz Dammbeck, Ernst Goldberg, Micha Brendel, Manfred Paul, Klaus Elle, Klaus
Hähner-Springmühl
Medium-Subjekt-Reflexion: Helga Paris, Kurt Buchwald, Thomas Florschuetz, Peter Oehlmann, Michael Scheffer, Matthias Leupold, Maria Sewcz, Sven Marquardt, Tina
Bara, Florian Merkel, Rudolf Schäfer, Jörg Knöfel
Das Buch zur Ausstellung ist ein reich bebildertes Standardwerk zur künstlerisch ambitionierten Fotografie in der DDR. Fotografiehistoriker unterschiedlicher Generationen schreiben über die politischen und ökonomischen Hintergründe, über verschiedene Aspekte fotografischer Praxis und die Rezeption von Fotografie in der DDR. Ein detaillierter Anhang informiert über Biografien und Bibliografien der beteiligten Künstlerinnen und Künstler und umfasst darüber hinaus ein Namensregister, einen Begriffsindex und eine Chronologie zur kulturpolitischen Entwicklung in der DDR.
Das Rahmenprogramm mit Filmangeboten, Künstlergesprächen sowie einem Symposium namhafter Forscher vom 09. bis 11. November bot allen Interessierten die Möglichkeit, tiefer in dieses abgeschlossene Kapitel deutscher Fotografiegeschichte einzudringen.
Anlässlich der Sonderausstellung "Geschlossene Gesellschaft" zeigten zehn Galerien, Projekt- und Kunsträume von Ende September 2012 bis Ende Januar 2013 verschiedene Vertreter künstlerischer Fotografie in der DDR.